Text: Anne-Katrin Wehrmann – Foto: Kay Michalak
Es ist kurz vor elf Uhr morgens, als Norbert Goyke an diesem Freitagmorgen die Tür zum Bootshaus am Meiereisee aufschließt. Während draußen die Sonne strahlt und einen wolkenlosen Sommertag ankündigt, sind drinnen die Lichtverhältnisse eher schummrig. Goyke geht zielstrebig hinüber zum Bootssteg, wo das Fahrgastschiff „Marie“ noch unter einer Plane liegt. In gut zwei Stunden wird das von einem Elektromotor angetriebene Boot zu seiner nächsten Tour aufbrechen und bis zu 30 Passagiere durch die Gewässer des Bürgerparks fahren. Bis dahin hat der 54-Jährige Zeit, die „Marie“ abzudecken, sie sauberzumachen, die Einstiegshilfe zu installieren, den E-Motor von der Stromversorgung zu trennen und andere vorbereitende Arbeiten zu verrichten. Wenn es später losgeht, wird er unterwegs Fahrkarten verkaufen und den Fahrgästen unterhaltsame Geschichten vom Bürgerpark und der Tradition des dortigen Schiffsverkehrs erzählen. Seit Mai arbeitet Goyke rund 25 Stunden die Woche für den Bürgerparkverein. Wenn das Fahrgastschiff von freitags bis sonntags – bei Charterfahrten manchmal auch in der Woche – zwischen Meiereisee, Emmasee, Tiergehege und Waldbühne pendelt, ist er mit an Bord.
Vor ein paar Monaten war die Vorstellung, „ganz normal“ zur Arbeit zu gehen, für Norbert Goyke noch in weiter Ferne. Bevor er seinen Job im Bürgerpark antrat, war er fünf Jahre lang arbeitslos – und damit einer von zuletzt rund 15.300 Langzeitarbeitslosen im Land Bremen, die laut aktueller Statistik der Agentur für Arbeit Bremen-Bremerhaven seit einem Jahr oder länger auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz sind. Seinen Job bei einem holzverarbeitenden Betrieb hatte er zuvor nach 26 Jahren verloren, weil er häufig zu spät zur Arbeit gekommen war. Das allerdings nicht aus Schludrigkeit: Seit 1999 weiß Goyke, dass er unter Narkolepsie leidet, im Volksmund auch als Schlafkrankheit bekannt. „Ich kann nachts nicht durchschlafen“, erläutert er. „Und wenn ich nach einer langen Wachphase endlich wieder einschlafe, schlafe ich manchmal so fest, dass ich den Wecker nicht höre.“ Eine Situation, mit der sich sein damaliger Arbeitgeber nicht abfinden wollte. In Kombination mit seinem fortgeschrittenen Alter und der Tatsache, dass er über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, war es ihm lange Zeit nicht möglich, einen neuen Job zu finden. Bis ihm das Jobcenter vorschlug, es bei Lazlo zu versuchen.
„Lazlo“ steht für Landesprogramm „Perspektive Arbeit“. Seit Anfang 2017 unterstützen das Land Bremen und die Jobcenter Bremen und Bremerhaven damit die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und fördern Arbeitsplätze für diese Personengruppe bis zu 24 Monate lang mit bis zu 75 Prozent des individuellen Arbeitsentgelts. Das Ziel des zunächst auf zwei Jahre befristeten Programms, 500 langzeitarbeitslosen Menschen Jobs und damit neue Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen, ist bereits erreicht: Gut 500 Stellen wurden bisher vermittelt, weitere rund 60 stehen bis Ende des Jahres noch zur Verfügung. „Wir gehen individuell auf jeden interessierten Arbeitsuchenden ein und arbeiten eng und offen mit ihnen zusammen“, sagt Projektleiterin Jasmin Tarchahani von der Leitstelle Lazlo. So ließen sich so manche Probleme und Bedenken schon vorab im Rahmen des begleitenden Coachings, das ebenfalls Bestandteil des Programms sei, aus dem Weg räumen. Denn, so Tarchahani: „Die meisten haben ein Päckchen zu tragen, und das merken wir hier auch. Sei es, dass sie durch gesundheitliche Probleme vor vielen Jahren ihren Job verloren haben, wegen einer Suchtproblematik, eines Schicksalsschlags oder aufgrund von Elternzeit länger aus dem Beruf waren: Es gibt viele Gründe, den Anschluss zu verlieren.“
Eine enge Zusammenarbeit gibt es nach Aussage von Tarchahani auch mit den Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen, die Stellen zu vergeben haben und denen die Leitstelle geeignete Bewerber vermittelt. „Wir erleben die Arbeitgeber als sehr tolerant“, meint die Projektleiterin. „Die meisten geben ihren neuen Mitarbeitern die Gelegenheit, sich langsam wieder ins Arbeitsleben einzufinden.“ Häufig gehe es um Helfertätigkeiten und niederschwellige Angebote. Es seien aber auch schon Arbeitsplätze mit besonderen Qualifikationsanforderungen besetzt worden. Das Ziel des Programms ist es, möglichst vielen der Teilnehmer auch nach Auslaufen der Förderphase eine langfristige Perspektive zu bieten. Eine Verpflichtung, die neuen Mitarbeiter anschließend fest zu übernehmen, haben die Arbeitgeber allerdings nicht. Kritik aus Teilen des politischen Raums, dass durch Lazlo bisher erst wenige Menschen in einen ungeförderten Job übernommen worden seien, will Tarchahani jedoch nicht gelten lassen. „Über Ergebnisse können wir erst reden, wenn die Förderung für die ersten Teilnehmer ausläuft. Dann wird sich zeigen, wie viele von ihnen Anschlussverträge bekommen.“
Norbert Goyke jedenfalls hofft, dass er nach Auslaufen der Förderung seinen Job behalten darf und der Bürgerparkverein ihn dann fest einstellen wird. Auch wenn es für ihn nach all den Jahren der Arbeitslosigkeit noch immer manchmal ungewohnt ist, zu einer bestimmten Zeit irgendwo sein zu müssen: „Es fühlt sich gut an, wieder gebraucht zu werden und am Arbeitsleben teilzunehmen. Ich bin glücklich, hier eine Chance bekommen zu haben.“ Die Arbeit an der frischen Luft mache ihm Spaß, sagt der 54-Jährige, der nach Ende der Bootssaison ab Herbst für gärtnerische Tätigkeiten im Bürgerpark eingesetzt werden soll. Dass sein Job morgens vergleichsweise spät anfängt und der Arbeitsbeginn nicht auf die Minute festgelegt ist, kommt ihm angesichts seiner Krankheit sehr gelegen. Wenn er es sich aussuchen könnte, würde er künftig gerne von Arbeitslosigkeit verschont bleiben. „Ich habe das Gefühl, endlich aus dem Sumpf gekommen zu sein“, meint Goyke. „Es hat mir nicht gutgetan, nur rumzusitzen und nichts zu tun zu haben.“