Gleichstellung in Schweden

Garantierte Ganztagsbetreuung und viele Väter in Elternzeit

Schweden hat schon früh rechtliche Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Männer und Frauen Erwerbs- und Sorgearbeit gerecht aufteilen können. Wie erfolgreich sind diese Maßnahmen und wie weit ist Deutschland in Sachen Gleichstellung?

Text: Suse Lübker
Foto: istock

Bereits die Wikingerfrauen standen den Männern in Sachen Gleichstellung kaum nach: Forscherinnen und Forscher der Universität Tübingen fanden anhand von Gesundheitsdaten heraus, dass die nordischen Frauen in der Wikingerzeit besonders gut ernährt waren. Vermutlich hatten sie eine hohe soziale Stellung und konnten viel zum Familieneinkommen beitragen – so lautet die Theorie der Wissenschaftler.

Fakt ist: Die Gleichberechtigung der Geschlechter hat eine lange Tradition und gilt als Grundpfeiler der schwedischen Gesellschaft. Frauen gelingt es deutlich besser auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen als in Deutschland und es ist normal, dass sich beide Elternteile um die Versorgung der Kinder kümmern. Während hier beispielsweise nur jede zweite Frau in Vollzeit arbeitet, sind es Schweden zwei Drittel. Auch die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern sind in Deutschland deutlich höher: So liegt der Gender Pay Gap, also der geschlechtsspezifische Verdienstunterschied laut Eurostat – dem statistischen Amt der Europäischen Union –  in Schweden bei rund 12 Prozent, Deutschland hingegen hat mit 19 Prozent eine der höchsten Lohnlücken in Europa. Auch der Frauenanteil unter den Führungskräften ist in Schweden hoch: Er liegt bei 42 Prozent – und das ganz ohne Quote.

Reformen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt

„Viele dieser Entwicklungen sind Ergebnisse einer Politik, die gezielt die Geschlechtergerechtigkeit in den Blick genommen hat“, erklärt Meike Büscher. Die Diplom-Soziologin arbeitet bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Stockholm und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Beschäftigung und Lohngerechtigkeit von Frauen in Schweden. Bereits in den 1970er Jahren hat die schwedische Regierung eine Reihe von Reformen ins Leben gerufen, mit denen Frauen immer stärker ins Erwerbsleben integriert wurden. Es war erklärter politischer Wille, dass Frauen in die Lage versetzt werden sollten, ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen – und zwar auch dann, wenn sie verheiratet sind und Kinder haben. So wurde 1971 in Schweden das System der gemeinsamen Besteuerung von Eheleuten abgeschafft. In Deutschland hingegen gilt seit 1958 das sogenannte Ehegattensplitting, das dazu führt, dass sich für viele Frauen die Erwerbstätigkeit nicht rechnet.

„In Deutschland meinen über 30 Prozent, dass Kinder darunter leiden, wenn die Mutter einer bezahlten Arbeit nachgeht. In Schweden sind es nur knapp 15 Prozent.“
Friedrich-Ebert-Stiftung, 2017

Elternversicherung statt Mutterschutz

1974 hat die schwedische Regierung die einkommensbasierte Elternversicherung eingeführt, das Pendant zum deutschen Elterngeld, das es hier allerdings erst seit 2007 gibt. „Schon der Begriff zeigt, dass von Anfang an beide Elternteile mitgedacht werden, denn es wurde nicht mehr von Mutterschutz gesprochen“, so Büscher. Aktuell erhalten in Schweden beide Elternteile zusammen von der Sozialversicherung für jedes Kind 16 Monate lang Elterngeld. 13 Monate werden mit 80 Prozent des letzten Einkommens als Lohnersatzleistung von der Sozialversicherung gezahlt. Für die verbleibenden 3 Monate wird ein festgelegter Mindestsatz gezahlt. Oft zahlt der Arbeitgeber zusätzlich zum Elterngeld noch eine Aufstockung.

„Zur Zeit werden die Elterntage zu zwei Dritteln von Frauen genommen und zu einem Drittel von den Männern“, berichtet Büscher. Natürlich sei auch hier das Ziel eine 50:50-Aufteilung, dafür werde von der Regierung viel unternommen und es wird aktiv dafür geworben. Im Gegensatz zum deutschen Modell des Elterngelds können in Schweden die Eltern nur einen Monat gemeinsam in Elternzeit gehen, damit Väter auch über eine längere Zeit alleine für den Haushalt und das Kind zuständig sind. Zudem gibt es für Väter zehn Tage bezahlten Vaterschaftsurlaub direkt nach der Geburt des Kindes, die von knapp 80 Prozent der Väter in Anspruch genommen werden. Dahinter steht die Idee, die Väter von Anfang an mehr einzubinden.

Familienfreundliche Unternehmenskultur

Schweden gehört laut einer UNICEF-Studie von 2019 mit zu den Industrieländern, die als besonders familienfreundlich gelten. Flexible Arbeitszeitmodelle sind an der Tagesordnung, dazu gehören Homeoffice-Arbeitsplätze ebenso wie familienfreundliche Terminplanungen. So finden in vielen Unternehmen Besprechungen und Konferenzen nicht in den frühen Morgenstunden oder am späten Nachmittag statt, damit die Kinder in die Kita gebracht und wieder abgeholt werden können. Keiner wird schief angeschaut, wenn er während der Arbeitszeit mit dem Kind zum Arzt geht – auch das ist typisch für Schweden.

Kinderbetreuung ist keine Notlösung

Dass Frauen früh beruflich durchstarten können, liegt ganz besonders an den guten Betreuungsangeboten. In Schweden hat jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz. 90 Prozent aller Kinder zwischen zwei und fünf Jahren gehen in die „Dagis“, den Kindergarten und sie tun das gern, denn hier haben sie ihre Spielkameraden. Kinderbetreuung sei keine Notlösung für die Eltern, was auch daran liegt, dass viel Wert auf die Qualität der Betreuung gelegt wird, so Büscher. Erzieherinnen und Erzieher in Schweden müssen ein dreijähriges Studium absolvieren und der Personalschlüssel ist sehr gut. Hinzu kommt, dass die monatlichen Kosten deutlich niedriger sind als in Deutschland: Der Höchstsatz für einen Kindergartenplatz beträgt in Schweden circa 150 Euro inklusive Verpflegung, damit haben auch Familien mit geringerem Einkommen und mehreren Kindern die Möglichkeit, die Kinder in der Kita betreuen zu lassen. Die Betreuungszeiten werden an die Bedürfnisse der Eltern angepasst, die Öffnungszeiten liegen in der Regel zwischen morgens sechs Uhr und abends 18:30 Uhr. Somit ist die Kinderbetreuung auch dann gewährleistet, wenn ein Elternteil zum Beispiel im Schichtdienst arbeitet.

Kind krank – Eltern zuhause

Und was passiert, wenn das Kind krank ist und beide Eltern berufstätig? Dann greift das Kinderkrankengeld, auf schwedisch: "Vård av sjukt barn" oder kurz „Vabba“ genannt: Ein Elternteil kann bei der Arbeit fehlen, wenn das Kind krank ist und bekommt pro Kind maximal 120 Tage lang 80 Prozent des Gehaltes als Krankengeld weiter. Ein Angebot, dass von beiden Elternteilen (fast) gleichberechtigt wahrgenommen wird.

Alle diese Maßnahmen halten den Familien den Rücken frei und bieten beiden Partnern die Möglichkeit, auch mit kleinen Kindern beruflich durchzustarten. Mehr noch: Durch die Veränderungen in den letzten Jahrzehnten habe sich ein anderes Verständnis entwickelt, so sieht es Meike Büscher: „Frauen und Männer in Schweden sind stolz darauf, dass es dieses System gibt. Dazu gehört, dass beide Elternteile in Elternzeit gehen und dass die Erziehungs- und Versorgungsarbeit aufgeteilt wird.“

Nägel mit Köpfen machen! AKB_Icon_Comment2

KOMMENTAR von Marion Salot – Referentin für Wirtschaftspolitik und Gleichstellung der Arbeitnehmerkammer

Der Vergleich mit Schweden zeigt, wie mehr Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt gelingen kann. Hier wurden bereits vor 50 Jahren wichtige Weichen gestellt. In Deutschland wird mit Ehegattensplitting, der beitragsfreien Mitversicherung bei der gesetzlichen Krankenversicherung und Minijobs ein Anreizsystem geschaffen, das viele Frauen in die Rolle der Zuverdienerin drängt.

Finanzielle Unabhängigkeit ist aber ein wichtiger Schlüssel für Gleichberechtigung. Derzeit fehlt offensichtlich der politische Wille, gezielt Maßnahmen zu ergreifen, die für eine gerechte Verteilung von Sorgeund Erwerbsarbeit sorgen. Das kürzlich beschlossene Recht auf einen Ganztagsbetreuungsplatz ist zwar ein wichtiger Schritt, reicht aber nicht aus. Eine Reform des Elterngelds ist überfällig. Wir brauchen mehr Partnermonate – mindestens vier, besser wären acht – von denen möglichst der überwiegende Teil von den Vätern alleine übernommen werden sollte.

Dass solche Schritte dazu beitragen, Rollenbilder nachhaltig zu ändern, lässt sich in Schweden beobachten: Hier müssen sich Väter vor ihren Freunden und bei der Arbeit dafür rechtfertigen, wenn sie nur zwei oder drei Monate in Elternzeit gehen.

Der Podcast zu Gender Gaps und Rollenbildern

Rolle Rückwärts: Der Podcast zu Gender Gaps und Rollenbildern
Folge 14: 50 Jahre Vorsprung – Weshalb Schweden bei der Gleichstellung der Geschlechter so viel weiter ist als Deutschland und was wir daraus lernen können: Als es in Deutschland noch die Hausfrauenehe gab und Frauen nur dann einer Beschäftigung nachgehen duften, wenn sie dadurch nicht ihre Pflichten im Haushalt vernachlässigten, da wurde in Schweden schon das Ehegattensplitting abgeschafft und gezielt an einer Gleichstellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt gearbeitet – mit Erfolg! Der Gender-Pay-Gap ist nur halb so groß wie in Deutschland, der Frauenanteil unter den Führungskräften deutlich höher. In dieser Folge sprechen wir mit Meike Büscher von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Stockholm darüber, welche Maßnahmen dazu beitragen haben, dass es den Frauen in Schweden deutlich besser gelingt, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und welche familien- und gleichstellungspolitischen Reformen auch bei uns umgesetzt werden könnten.
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