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Andreas Bovenschulte: Das ist ein ganz zentrales Thema. Ziel des Senats ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Menschen ein gutes Leben führen können. Dazu gehört es, dass die Menschen in der Lage sind, ihre wirtschaftliche und soziale Existenz zu sichern. Das Erwerbseinkommen spielt hier für die meisten eine wichtige Rolle. Und es ist ja nun erwiesen, dass Jobs in tarifgebundenen Unternehmen besser bezahlt werden als Jobs in nichttarifgebundenen. Und auch die Arbeitsbedingungen insgesamt sind besser. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber unterm Stricht lässt sich das eindeutig belegen. Das heißt, mit Tarifverträgen lässt sich vielleicht die Welt nicht grundsätzlich besser machen, aber man kann die Welt ein Stück gerechter machen.
Zunächst wird deutlich, dass die Zahl der tarifgebundenen Betriebe stärker gesunken ist als die Zahl der tarifgebundenen Beschäftigten. Vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen und insbesondere im Dienstleistungsbereich ist die Tarifbindung gering. Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung ist der Strukturwandel: Es ist nicht gelungen, die gewerkschaftliche Tradition und Stärke aus der Industrie in andere Bereiche zu übertragen. Die zweite Erklärung ist sicherlich eine historische Schwächung der Gewerkschafts- und Arbeitnehmerbewegung, die seit den 80ern europaweit und weltweit in der Defensive ist. Die neoliberale Revolution von Thatcher und Reagan ist den Arbeitnehmerbewegungen nicht gerade entgegengekommen. Hier müssen Gewerkschaften bis heute bergauf kämpfen.
Und genau das passiert seit den 80ern, also eine gezielte Schwächung der Arbeitnehmerbewegung. Das ist der Mainstream seit vielen Jahrzehnten. Diese Entwicklung und der Strukturwandel führen heute dazu, dass auch die Tarifbindung so stark zurückgegangen ist.
Und das ist genau das Gefährliche. Tarifbindung meint, dass die Menschen an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben, mitbestimmen können. Es geht um gesellschaftliche Teilhabe. Unsere Wirtschaft ist ja von einem fundamentalen Ungleichgewicht gekennzeichnet zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Arbeitnehmer haben – von wenigen Ausnahmen abgesehen - nicht die Möglichkeit auf Augenhöhe zu verhandeln. Sie können diese Augenhöhe nur erreichen, wenn sie sich zusammentun. Sonst müssen sie eben akzeptieren, was ihnen vorgelegt wird. So sind die Machtbeziehungen auf dem Arbeitsmarkt. Die kann man nur aufheben, wenn man auf Seiten der Arbeitnehmer organisiert vorgeht. Tarifverträge sind deshalb auch ein Baustein der Demokratie.
Es liegt natürlich in erster Linie in der Verantwortung der Tarifparteien und der Gewerkschaften, Tarifverträge zu verhandeln und abzuschließen. Sonst würden wir auch die Tarifautonomie nicht ernst nehmen. Aber es ist eben auch Aufgabe des Staates, jedem seinen gerechten Anteil am wirtschaftlichen Erfolg zu sichern und vor Ausbeutung zu schützen. Das ist in der Landesverfassung festgelegt. Daraus folgt ein Verfassungsauftrag – übrigens völlig unabhängig davon, welcher Senat mit welcher politischen Ausrichtung gerade regiert. Aber um zu den Punkten zu kommen: Wir sind ja auch mit der Arbeitnehmerkammer in Austausch darüber, wie wir das Tariftreue und Vergabegesetz ändern können. Ziel ist es, dass öffentliche Aufträge soweit wie rechtlich möglich nur an Unternehmen vergeben werden, die auch einen Tarifvertrag anwenden. Bislang ist das auf einige Branchen begrenzt, auch bei europaweiten Ausschreibungen gibt es im Moment noch Hürden – diese wollen wir soweit wie möglich ausräumen.
Das ist ein Punkt, den müssen wir noch diskutieren. Grundsätzlich könnte man überlegen – und dahin geht auch die bundesweite Diskussion –tarifgebundene Unternehmen, zum Beispiel durch steuerliche Anreize zu unterstützen. In Bremen könnte die Wirtschaftsförderung Unternehmen mit Tarifbindung besonders berücksichtigen. Wichtig ist es, Unternehmen nicht zu bestrafen, sondern positives Handeln zu belohnen.
Ja, auf jeden Fall. In bestimmten Branchen kann so wieder Wettbewerbsgleichheit hergestellt werden. Unternehmen konkurrieren dann über die Qualität ihrer Leistungen und Produkte und nicht über die Löhne. Auch ein Grund, warum das Thema durchaus von einigen Unternehmen geschätzt wird – weil es gleiche Rahmenbedingungen für alle schafft. Wir haben gerade im Friseurhandwerk in Bremen den Tarifvertrag für allverbindlich erklärt, das war ein wichtiger Schritt. Deshalb wollen wir eine konkrete Bundesratsinitiative mit einem Gesetzesvorschlag auf den Weg bringen, um es künftig leichter zu machen, einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären.