Der Mann, der sich im Internet "King Kurt" nennt, hat nach eigenen Angaben schon viele Leiharbeitsstationen erlebt. Er ist frustriert, das ist ihm in seinem Kommentar auf der von Beschäftigten betriebenen Seite "Bremen macht Feierabend" anzumerken: "Es ist nicht allein die geringere Bezahlung, die nervt. Man ist Arbeiter zweiter Wahl und manchmal lassen auch Festangestellte einen das spüren. Und man wird hin- und hergeschoben, wie es den Unternehmern gerade passt."
So wie "King Kurt" geht es auch anderen Beschäftigten in Bremen. Das kleinste Bundesland ist eine Hochburg der Leiharbeit. Im Dezember 2015 zählte die Bundesagentur für Arbeit hier 16.435 Leiharbeiter. Das waren 1.250 mehr als noch ein Jahr zuvor. Damit war rund jeder 20. Beschäftigte in Leiharbeit. Bundesweit gibt es rund eine Million Beschäftigte in der Leiharbeit. Betroffen sind viele Branchen, ob die Logistik, die Auto- oder die Windkraftindustrie und die Pflege. "In vielen Fällen sind das prekäre Arbeitsverhältnisse, geprägt von ständiger Ungewissheit und geringer Bezahlung", sagt Regine Geraedts, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen.
In der Theorie soll Leiharbeit Auftragsspitzen oder vorübergehende Personalengpässe abfedern; externe Beschäftigte sollen für einen überschaubaren Zeitraum die Stammbelegschaft unterstützen. "Tatsächlich wird Leiharbeit oftmals dauerhaft eingesetzt und verdrängt Stammarbeitsplätze", betont Geraedts. Mit einer zum 1. April 2017 in Kraft tretenden Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes will die Bundesregierung das künftig verhindern. Dann ist es einem Unternehmen nur noch erlaubt, eine Leiharbeitskraft maximal 18 Monate zu beschäftigen. Abweichungen per Tarifvertrag sollen aber möglich bleiben. Bisher gab es keine Höchstüberlassungsdauer.
Nach neun Monaten muss die Leiharbeitskraft die gleiche Vergütung wie ein Stammbeschäftigter bekommen. Ausnahmen sind aber möglich, wenn der Arbeitgeber ab der sechsten Beschäftigungswoche einen Zuschlag zum Zeitarbeits-Tariflohn zahlt. Die komplette Angleichung kann so auf 15 Monate gestreckt werden.
"Es ist im Grundsatz gut, dass die Bundesregierung begonnen hat, Leiharbeit und Werkverträge neu zu regulieren", betont Regine Geraedts. Zufrieden ist sie aber mit dem Ergebnis nicht. "Die Höchstdauer für einzelne Leiharbeitsbeschäftigte verhindert nicht, dass Kernaufgaben dauerhaft durch Leiharbeit erledigt werden", kritisiert die Referentin. 18 Monate seien ohnehin ein langer Zeitraum für unvorhergesehene Auftragsspitzen. "Nach der neuen gesetzlichen Regelung kann die Höchstdauer außerdem einfach unterlaufen werden." Dafür müsste nur kurz vor Ablauf der Frist die bisherige Leiharbeitskraft nach Hause geschickt und die nächste angefordert werden. Das könne über Jahre so gehen.
Hoch qualifizierte Kräfte betrifft das zwar vermutlich weniger. "Die kann man nicht so durchtauschen", begründet Stefanie Gebhardt, Gewerkschaftssekretärin bei der IG Metall Bremen. "Gerade im Bereich der Helfer- und Anlerntätigkeiten fördert das Gesetz aber den Drehtüreffekt." Vor allem die weniger Qualifizierten erhofften sich aber, vom Stammbetrieb übernommen zu werden. "Die Leute wollen Sicherheit", betont Gebhardt. Doch in den wenigsten Fällen gehe die Leiharbeit in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis über. "Viele werden aus der Arbeitslosigkeit rekrutiert und in die Arbeitslosigkeit wieder entlassen", betont Referentin Geraedts.
Auch von der gleichen Bezahlung nach neun Monaten werden wohl nur wenige Leiharbeitsbeschäftigte profitieren, vermutet Geraedts: "Schon jetzt sind nur gut 25 Prozent überhaupt länger als neun Monate bei ihren Verleihern beschäftigt." Sie befürchtet, dass Kundenunternehmen künftig bewusst noch kürzer entleihen, um die neue Regelung zu umgehen. Die meisten Beschäftigungsverhältnisse enden in der Regel spätestens nach drei Monaten.
In Konzernen wie Mercedes oder Airbus haben es Betriebsräte erreicht, dass Leiharbeitsbeschäftigte von Anfang an denselben Stundenlohn bekommen wie die Stammbelegschaft. "Das ist gut. Leiharbeit bleibt aber trotzdem die billigere Variante", ist Geraedts überzeugt. Denn nicht nur die Löhne spielten eine Rolle: Die Entleihunternehmen sparen an Urlaub, Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld oder betrieblicher Altersversorgung. Als Wettbewerbsvorteil gelte auch, dass die Unternehmen sich bei Entlassungen nicht mit dem Kündigungsschutz oder dem Betriebsrat auseinandersetzen müssten. "Der Wettbewerb wird hier auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen", kritisiert Geraedts.
Doch Leiharbeit ist nur das eine Problem: Inzwischen gehen immer mehr Unternehmen dazu über, Werkverträge im Kerngeschäft zu vergeben. Eine externe Firma übernimmt dann eine Dienstleistung, zahlt ihren Beschäftigten aber in der Regel deutlich weniger als den Stammbeschäftigten auf dem Betriebsgelände. Beim Abschluss von Werkverträgen muss der Betriebsrat nicht zustimmen – anders als bei der Beschäftigung von Leiharbeitskräften. "Bei Werkvertragsfirmen hat der Betriebsrat des Stammunternehmens keinen Einfluss auf Arbeitsbedingungen oder auf die Bezahlung des Dienstleisters", sagt Gewerkschafterin Stefanie Gebhardt.
Offizielle Zahlen, wie viele Beschäftigte von Werkvertragsunternehmen in andere Betriebe geschickt werden, existieren nicht. "Aber das Missbrauchspotenzial ist so groß, dass die Bundesregierung auch hier Handlungsbedarf sah", sagt Geraedts. Denn oftmals werden Verträge zwischen Unternehmen als Werkverträge bezeichnet, obwohl tatsächlich Leiharbeit praktiziert wird. Das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz versucht deshalb, auch den Werkverträgen Schranken zu setzen: Rechtswidrige Werkverträge können nicht mehr wie bisher nachträglich zu Leiharbeit erklärt werden. Auch haben Betriebsräte ein Recht zu wissen, was in Sachen Werkverträgen in ihrem Betrieb passiert. Grundsätzlich gilt auch: Bei verdeckter Leiharbeit entsteht nach dem Gesetz formal sofort ein Arbeitsverhältnis zwischen den scheinbaren Werkvertragsbeschäftigten und dem Betrieb, in dem sie eingesetzt sind. "Da hält das Gesetz aber auch gleich wieder eine Fallschirmlösung parat", erläutert Geraedts. "Weil es ein Wahlrecht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorsieht, lassen sich Werksvertragsunternehmen von ihren Beschäftigten oft eine Erklärung auf Vorrat unterschreiben, dass sie dem widersprechen." Insgesamt hält sie die Regelungen für zu schwach. "Mit der jetzigen Gesetzesreform lässt sich die Entwicklung wohl nicht stoppen", befürchtet Geraedts.
Text: Janet Binder
Fotos: Kay Michalak