Fragen: Anne-Katrin Wehrmann
Foto: Jonas Ginter
Hannes Zacher: Unsere repräsentativen Befragungen haben gezeigt, dass der Beginn der Krise und insbesondere der Lockdown im Frühjahr zu einer Abnahme des subjektiven Wohlbefindens geführt hat. Nach einer leichten Zunahme von Lebenszufriedenheit und positiver Stimmung über den Sommer sind jetzt seit dem Herbst wieder negative Auswirkungen festzustellen. Es gibt allerdings sehr starke individuelle Unterschiede, wie Menschen die Krise wahrnehmen und wie sie mit ihr umgehen.
Da spielt zunächst die eigene Bewertung eine ganz wichtige Rolle. Also die Frage: Nehme ich eine Situation eher als Gefahr für mich wahr oder vielleicht sogar als positive Herausforderung? Wer Corona als existenzielle Bedrohung interpretiert, kommt grundsätzlich schlechter durch die Krise. Im nächsten Schritt überlegen sich die Menschen dann, wie sie mit diesem Stressor umgehen. Wer dabei sogenannte funktionale Bewältigungsstrategien nutzt, also Probleme aktiv angeht, plant und sich soziale Unterstützung sichert, ist deutlich im Vorteil. Disfunktionale Strategien wie Alkohol, Verdrängung oder Rückzug sind dagegen nicht förderlich.
Beide Ängste haben gemein, dass es generell um Kontrollverlust geht. Und diese Krise hat bei vielen Menschen das Gefühl hervorgerufen, sie können ihr Leben und ihre Zukunft nicht mehr so gut kontrollieren wie sonst. Gerade diese Wahrnehmung kann dazu führen, dass Menschen psychisch und physisch krank werden – dass sie zum Beispiel unter psychosomatischen Erkrankungen wie Rücken-, Kopfoder Magen-und-Darm-Beschwerden leiden. Auch depressive Verstimmungen bis hin zu einer handfesten Depressionserkrankung können die Folge sein. Wenn viel zusammenkommt an Sorgen, dann summiert sich das nicht einfach nur. Dann ist das tatsächlich eine ganz schwierige Konstellation.
„Diese Krise hat bei vielen Menschen das Gefühl hervorgerufen, sie können ihr Leben und ihre Zukunft nicht mehr so gut kontrollieren wie sonst.“
Hannes Zacher
Das ist manchmal schlimmer als die Arbeitslosigkeit selbst. Wenn ich lange mit einer Ungewissheit lebe, von der ich nicht weiß, was das letztlich für mich und meine Familie bedeutet, kann sich das auf die Psyche und die Gesundheit stärker auswirken als zu wissen: Mein Vertrag endet zu einem bestimmten Zeitpunkt und dann habe ich neue Aufgaben. Das ist so ein Moment, wo man wieder anfangen kann zu planen, sich neue Ziele zu stecken und daran zu arbeiten. Und all das ist bei Arbeitsplatzunsicherheit auf jeden Fall erschwert.
Zum einen ist es erst einmal wichtig, auf die Selbstfürsorge zu achten. Dazu gehört, sich möglichst gesund zu halten. Also Sport zu treiben, gesund zu essen und ausreichend zu schlafen. Dann sollte man versuchen, weiterhin ein möglichst großes Ausmaß an Kontrolle auszuüben – zum Beispiel bei der Arbeit gute Leistungen zu bringen und sich nicht komplett von der Unsicherheit demotivieren zu lassen. Wichtig ist auch, offen für Neues zu sein und die Gedanken nicht zu stark einzuengen auf das, was man noch hat. Sondern sich möglicherweise schon neues Wissen, neue Fertigkeiten anzueignen und mit vielen Menschen zu sprechen. Sich aktiv neue Optionen schaffen, das ist in der Situation auf jeden Fall schon machbar. Ein weiterer konkreter Punkt ist es, möglichst sparsam zu leben, um materiell abgesichert zu sein. Und nicht zuletzt: versuchen, das Ganze nicht persönlich zu nehmen, so schwer das fällt. Manche Menschen knüpfen ihren Wert an ihre Arbeit. Das kann etwas sehr Positives sein, aber in dieser Situation wirkt sich das eher negativ aus, wenn man stark identifiziert ist.
Meine Empfehlung lautet: Seien Sie zurückhaltend mit guten Vorsätzen. Die sind häufig ohnehin sehr vage, und konkrete Ziele lassen sich in der derzeitigen Unsicherheit nur schwer formulieren. Machen Sie sich besser klar, was im abgelaufenen Jahr positiv gelaufen ist, was Ihnen wichtig war und wofür Sie dankbar sind. Es kann auch heilsam sein, über den eigenen Tellerrand zu schauen und zu überlegen, wie es anderen Menschen im Bekanntenkreis oder Menschen in anderen Ländern ergangen ist. Solche Vergleiche können zu einem gewissen Maße sehr positive Auswirkungen haben. Letztlich geht es darum, die eigenen Ressourcen zu sammeln und daraus eine Kraft zu ziehen, mit den Herausforderungen positiv umzugehen. Und wer sich Ziele setzen möchte, kann dabei eine hilfreiche psychologische Strategie namens WOOP (Wish, Outcome, Obstacle, Plan) anwenden: das heißt einen Wunsch formulieren, das Ergebnis visualisieren, mögliche Hindernisse überlegen und schließlich einen Plan aufstellen. Menschen, die diese Technik nutzen, sind gesünder, glücklicher und leistungsstärker als solche, die das nicht tun.
ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Themen wie beruflicher Stress, Gesundheit und Wohlbefinden. In einer Langzeitstudie untersucht er seit Beginn der Corona-Krise, wie sich Covid-19 auf die Psyche von Berufstätigen auswirkt.