Text: Anne-Katrin Wehrmann
Foto: Traum-Ferienwohnungen
Als Nicolaj Armbrust und Sebastian Mastalka 2001 in Bremen ihr Online-Portal „Traum-Ferienwohnungen“ gründeten, war ihnen nicht klar, wie erfolgreich das Ganze einmal werden würde. Heute arbeiten 140 Mitarbeiter für das Unternehmen und schaffen den Rahmen dafür, dass jährlich mehr als 40 Millionen Urlauber über die Plattform nach ihrem nächsten Feriendomizil suchen. 2015 stellten die Verantwortlichen fest, dass die Strukturen vor dem Hintergrund des rasanten Wachstums nicht mehr so gut funktionierten wie am Anfang. „Bestimmte Dinge, die wir vorher bei unserer Zusammenarbeit geschätzt haben, gerieten zunehmend in Gefahr“, berichtet Achim Hensen, verantwortlich für Organisationsentwicklung und Zusammenarbeit. Schnelle Reaktionsfähigkeit, direkte Kommunikation, gemischte Teams, wenig Bürokratie: Das alles wurde in den zunächst klassisch hierarchisch organisierten Unternehmensstrukturen zunehmend schwieriger.
Veränderung musste her und so fand sich ein demokratisch gewähltes Kernteam aus sechs Mitarbeitern zusammen, das unter Begleitung eines externen Coaches das Problem unter die Lupe nahm und darüber diskutierte, wie die Zusammenarbeit künftig aussehen soll. „Wir sind schnell darauf gekommen, dass wir eine hohe Agilität brauchen und ein hohes Bedürfnis haben, dass Menschen ihr volles Potenzial einbringen können“, sagt Hensen.
"Demoktraisierung ist kein formaler Prozess, sondern eine Frage der Haltung und der Unternehmenskultur."
Michael Schottmayer
Die Lösung sieht so aus: Mittlerweile arbeiten alle Mitarbeiter in gemischten, eigenverantwortlichen Teams ohne feste Führungskräfte, wobei sich die einzelnen Teams auf jeweils unterschiedliche Zielgruppen wie Gäste, private Vermieter oder gewerbliche Anbieter fokussieren. Formale Führungspositionen gibt es nicht mehr – stattdessen können alle Mitarbeiter in Bereichen, die ihnen wichtig sind, Verantwortung übernehmen.
Mit der Abkehr von klassischen Führungsmustern steht das Bremer Unternehmen nicht allein da. „Seit einiger Zeit erlebe ich in der Wirtschaftswelt, dass das Thema der Partizipation und Sinnkopplung immer wichtiger wird“, berichtet Andreas Zeuch, der als Berater und Trainer Unternehmen bei der Umstellung ihrer Organisationsstruktur begleitet und 2015 das Buch „Alle Macht für niemand – Aufbruch der Unternehmensdemokraten“ veröffentlicht hat. Darin definiert er Unternehmensdemokratie als „Führung und Gestaltung von Organisationen durch alle interessierten Mitglieder“ bei einer „verbindlich verfassten Selbstorganisation“, die kein alleiniges Mittel zum Zweck der Gewinnmaximierung sei. „Es gibt eine stetig wachsende Zahl von Unternehmen, die sich im Sinn einer sozial-ökologischen Nachhaltigkeit aufstellen wollen“, berichtet Zeuch. „Zugleich fragen sich immer mehr Beschäftigte, wofür sie eigentlich arbeiten wollen und warum sie an ihrem Arbeitsplatz so wenig mitgestalten dürfen.“ Dabei gebe es einen direkten Zusammenhang zwischen Mitbestimmung und Motivation, so Zeuch.
Auf Einladung der Initiative Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) war der Buchautor kürzlich zu einem Vortrag in Bremen zu Gast. Der europaweit aktive Zusammenschluss von Interessierten aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen hat sich zum Ziel gesetzt, durch Veränderungen auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene ein alternatives Wirtschaftssystem zu fördern, das dem Gemeinwohl dient. Ein Bestandteil der Bemühungen ist die Beratung und Zertifizierung von Organisationen, die sich eine standardisierte „Gemeinwohl-Bilanz“ erstellen lassen möchten, um ihren Beitrag sichtbar zu machen. „Demokratische Unternehmensstrukturen sind ein Effekt, der während des Prozesses entstehen kann“, berichtet Rena Fehre, Soziologin und Referentin der GWÖ-Regionalgruppe Bremen. Es gehöre zur „Grundausstattung“ des Menschen, sich einbringen zu wollen: „In vielen Bereichen kann Mitwirkung und Mitentscheidung bei Gemeinwohl-bilanzierten Unternehmen entstehen“, erläutert Fehre. „Mitentscheidung kann in verschiedenen Abstufungen stattfinden – zum Beispiel in einzelnen Abteilungen oder bei bestimmten Projekten.“
Das sieht Andreas Zeuch ähnlich. Einen fertigen und allgemeingültigen Bausatz für alle Unternehmen und Organisationen gebe es nicht, betont er. „Stattdessen gibt es ganz viele verschiedene Formen von Demokratisierungen, aus denen abhängig von der bisherigen Unternehmenskultur passende Instrumente ausgewählt werden können. Zentrale Voraussetzung ist allerdings, dass die bisherige Führung einen solchen Transformationsprozess auch wirklich will und bereit ist, dafür auf Macht und Einfluss zu verzichten.“ Dabei sei es wichtig, dass alle Beteiligten Fehler machen dürften – und dass niemand gezwungen werde, Verantwortung übernehmen zu müssen.
Vor dem Hintergrund von Globalisierung, demografischem Wandel und allgemeinem Wertewandel sei die Demokratisierung der Arbeitswelt ein Gebot der Stunde, ist der Arbeitspsychologe Michael Schottmayer von der Universität Bremen überzeugt. In den vergangenen zehn Jahren habe er in diesem Bereich eine Bewegung wahrgenommen, die zuletzt noch einmal an Fahrt aufgenommen habe. „Aus Sicht der Arbeitnehmer trägt die Erweiterung von Handlungsspielräumen zum Erhalt ihrer Arbeitszufriedenheit bei“, sagt der Wissenschaftler. „Und der Arbeitgeber macht sich damit attraktiv für neue Mitarbeiter und kann schneller auf neue Anforderungen reagieren.“ Letzteres sei gerade für solche Unternehmen ein großer Vorteil, die unter Wettbewerbsdruck stünden und sich in einem dynamischen Umfeld bewegten. Es sei jedoch zu bedenken, dass nichts aus reiner Menschenfreundlichkeit geschehe: „Für die Unternehmen muss es eine ökonomische Notwendigkeit geben, sich auf wandelnde Bedingungen einzustellen und dabei die Mitarbeiter mitzunehmen. Demokratisierung ist kein formaler Prozess, sondern eine Frage der Haltung und der Unternehmenskultur.“
"Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen Mitbestimmung und Motivation."
Andreas Zeuch
Beim Online-Portal Traum-Ferienwohnungen sind Mitbestimmung, Selbstorganisation und Eigenverantwortung längst fester Bestandteil der Unternehmenskultur geworden. Abgeschlossen ist der Prozess aber noch lange nicht. „Und das wird er hoffentlich auch nie sein“, meint Achim Hensen. „Der Mehrwert des Ganzen ist ja gerade, dass die Struktur nicht mehr starr ist und wir uns heute immer wieder neu erfinden.“ Auch wenn es auf dem Weg schon zahlreiche Herausforderungen gegeben habe: „Es hat sich absolut gelohnt. Wir arbeiten jetzt zufriedener und erfolgreicher und können unseren Kunden so ein besseres Produkt anbieten.“
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