Rund 2.000 Beschäftigte in Bremen und Bremerhaven hat das Institut infas im Auftrag der Arbeitnehmerkammer im Frühjahr befragt. Zu den Themen zählten unter anderen Rahmenbedingungen der Arbeit, gesundheitliche Belastungen, Arbeitszufriedenheit sowie Weiterbildung und beruflicher Aufstieg und veränderte Anforderungen. Ein besonderer Schwerpunkt waren die Perspektiven auf die Rente und die Möglichkeiten, die Beschäftigte für sich sehen, den Übergang zu gestalten. „Die Ergebnisse zeigen, dass es noch großen Handlungsbedarf gibt, speziell wenn es um die Arbeitsbedingungen geht. Alarmierend ist für uns, dass ein Drittel der Befragten glaubt, nicht bis zur Rente durchhalten zu können – in einigen Branchen sogar zwei Drittel“, mahnt Kammer-Hauptgeschäftsführer Ingo Schierenbeck.
85 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer imLand Bremen identifizieren sich stark mit ihrer Arbeit. Überdies sind drei Viertel davon überzeugt, mit ihrer Arbeit einen gesellschaftlich relevanten Beitrag zu leisten. Zwischen der gesellschaftlichen Relevanz und der empfundenen gesellschaftlichen Anerkennung klafft allerdings eine Lücke, die sich besonders ausgeprägt bei den Gesundheitsberufen und den sozialen Dienstleistungsberufen zeigt.
Hilfe und Unterstützung durch Vorgesetzte erfahren mehr als zwei Drittel der Beschäftigten. Allerdings sehen sich nur 55 Prozent in ihren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten gefördert. Deutlich positiver wird die Kollegialität in bremischen Betrieben beurteilt. Fast 93 Prozent der Befragten berichten von einer durchgehend oder häufig guten Arbeitsatmosphäre, 90 Prozent von einer durchgehend oder häufig guten Zusammenarbeit mit den Arbeitskollegen.
Vertragliche und tatsächliche Arbeitszeit klaffen bei mehr als der Hälfte der Befragten auseinander – durchschnittlich wird drei Stunden länger gearbeitet als vereinbart. Besonders häufig fallen Überstunden an im Bereich Verkehr und Logistik, in den Krankenhäusern und im Hotel- und Gaststättengewerbe. Hier werden sogar regelmäßig mehr als sechs Überstunden pro Woche geleistet. Gleichzeitig würden 18 Prozent der Beschäftigten gerne einen Arbeitsvertrag mit mehr Stunden abschließen – bei den Teilzeitbeschäftigten ist es ein Drittel. Besonders ausgeprägt ist dieser Wunsch bei Reinigungskräften, in Lebensmittel- und Gastgewerbeberufen sowie (Einzel-)Handelsberufen. Dabei wünscht sich ein großer Anteil eine Arbeitszeitausdehnung über fünf Stunden. „Immer wieder weisen wir darauf hin, dass es in manchen Branchen inzwischen kaum noch gelingt, eine existenzsichernde Stundenzahl zu erreichen. Hier hat Teilzeit nichts mehr mit Familienfreundlichkeit zu tun“, mahnt Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer.
In anderen Branchen dagegen würden viele Beschäftigte gern weniger Stunden arbeiten – vor allem in der öffentlichen Verwaltung, in der Information und Kommunikation und in den Krankenhäusern. Hier wünschen sich viele eine Reduzierung um fünf Wochenstunden und mehr.
Die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berichtet von gestiegenem Stress und Arbeitsdruck. Noch verbreiteter ist das Gefühl, häufig sehr schnell arbeiten zu müssen, um das Pensum zu schaffen: Das berichten zwei Drittel der bremischen Beschäftigten. Zugleich haben 70 Prozent aller Befragten die Erfahrung gemacht, dass durch digitale technologische Neuerungen die Fülle der gleichzeitig zu erledigenden Aufgaben zugenommen hat.
Alarmierend sind die Befunde zum sogenannten Präsentismus, also dem Phänomen, krank zur Arbeit zu gehen. Drei Viertel aller Beschäftigten waren davon betroffen, im Durchschnitt waren sie innerhalb eines Jahres elf Tage im Einsatz, obwohl sie sich eigentlich krank fühlten. Besonders ausgeprägt ist das Phänomen in der Pflege, aber auch im Bereich Verkehr und Lagerei sowie im Einzelhandel. „Die Verantwortung dafür, dass niemand Raubbau an der eigenen Gesundheit betreiben muss, liegt ganz klar bei den Arbeitgebern“, betont Regine Geraedts, Referentin für Arbeitsmarktpolitik. Dazu gehört auch der Befund, dass 40 Prozent der Beschäftigten im Land Bremen einen negativen Einfluss der Arbeit auf die eigene Gesundheit ausmachen. Immerhin ein Drittel glaubt nicht, die derzeitige Tätigkeit bis zum regulären Rentenalter ausüben zu können.
Mehr als zwei Drittel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würden gerne vor dem regulären Eintrittsalter in Rente gehen. Lediglich sechs Prozent wollen darüber hinaus arbeiten. Dabei handelt es sich überwiegend um Beschäftigte in der niedrigsten Einkommensgruppe (bis 1.000 Euro brutto monatlich), die mit hoher Wahrscheinlichkeit aus finanziellen Gründen weiterarbeiten müssen.
Die Beschäftigten erwarten von der gesetzlichen Rente vor allem eine Absicherung ihres Lebensstandards. Deshalb lehnen 85 Prozent eine Absenkung des Rentenniveaus ab. Hierfür würde auch gut die Hälfte höhere Beiträge leisten. Erstaunlich: Insbesondere die jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind mit überdurchschnittlichen 60 Prozent dazu bereit. Aber nur eine Minderheit von 14 Prozent glaubt noch, dass die gesetzliche Rente ausreichen wird, um davon gut leben zu können. „Die Rentenreformen der letzten zwei Jahrzehnte haben zu einem massiven Vertrauensverlust geführt“, betont Hauptgeschäftsführer Schierenbeck. „Im Interesse aller Beschäftigten brauchen wir dringend wieder eine auskömmliche gesetzliche Rente und damit eine verlässliche Absicherung im Alter.“ Zumal eine weitere Absicherung etwa über eine zusätzliche Betriebsrente vielen Beschäftigten nicht möglich ist. So geben nur 36 Prozent der Befragten an, dass ihr Arbeitgeber eine betriebliche Altersversorgung anbietet.
Mit der Beschäftigtenbefragung sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bremen und Bremerhaven zu ihrem Arbeitplatz und ihrer Arbeitssituation direkt befragt worden. Die Ergebnisse sind repräsentativ, stehen also stellvertretend für alle Beschäftigten im Land Bremen. Deshalb lassen sich auch Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und Belastungen, der Zufriedenheit und den Sorgen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern herstellen und daraus wichtige Handlungsbedarfe im Interesse unserer Mitglieder aufzeigen.